Sandra Bubendorfer-Licht

Erkenntnis-Ignoranz und Hochwasser-Demenz

MÜHLDORF  – Albrecht Brömme, Ehrenpräsident des Technischen Hilfswerks (THW) aus Berlin, hat sich dafür ausgesprochen, die Erfahrungen aus Krisen nicht zu ignorieren und aus Katastrophen mehr zu lernen. „Wir brauchen in jedem Bundesland ein Landesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenvorsorge“, forderte Brömme vor 70 Zuhörern am Sonntag beim traditionellen Neujahrsempfang der FDP-Kreisverbände Mühldorf und Altötting im Restaurant „Altes Wasserschlössl“ in Mühldorf.
Die Mühldorfer FDP-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Sandra Bubendorfer-Licht freute sich, dass nach drei Jahren Corona-Pause ein Neujahrsempfang in Präsenz stattfinden konnte. Mit Albrecht Brömme stellte sie den Hauptredner vor, „der wie kein anderer dieses so wichtige Thema näherbringen kann“. Der 69-jährige war von April 2006 bis 2019 Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk. Zuvor war er ab Mitte 1992 Landesbranddirektor und Leiter der Berliner Feuerwehr.  Er sei das bekannteste Gesicht des Bevölkerungsschutzes in Deutschland. Gefahrenpotentiale zu erkennen und zu bewältigen sei für den Ernstfall wichtig, sagte die FDP-Obfrau im Innenausschuss des Bundestages.  Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine betreffe einige Thematiken im Bevölkerungsschutz, denn dieser bilde „die Kehrseite der Medaille der militärischen Zeitenwende“. 
Albrecht Brömme, der als Vorsitzender des Berliner „Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit“ (ZOES), immer noch seinen Einfluss auf die Berliner Politik hat, diagnostizierte bereits am Samstag in einem Hintergrundgespräch eine „Erkenntnis-Ignoranz“ in Deutschland. „Es gibt Erkenntnisse, die nicht genügend umgesetzt werden und es gibt Wissen, das nicht weitergegeben wird.“ Als Beispiel nennt er das Hochwasser 2016 in Simbach am Inn. Damals seien sieben Menschen ums Leben gekommen – weil sie sich noch in den Kellern aufgehalten hätten. Dieses Nicht-Wissen über die Gefährlichkeit dieser Aktion sei 2021 beim Hochwasser im Ahrtal 60 Menschen zum tödlichen Verhängnis geworden.

Vielen Politikern und Einsatzkräften falle es schwer, über eigene Fehler zu reden, so dass gleiche Fehler immer wieder gemacht werden. Brömme hat eine „Hochwasser-Demenz“ in Deutschland ausgemacht. Wenn es um Bebauungspläne oder den Rückbau versiegelter Flächen gehe, sei die Hälfte des Geschehens nach einem halben Jahr vergessen, nach einem Jahr alles. Kommunen und Anwohner würden genau an derselben Hochwasserstelle wieder bauen. Brömme erinnerte an das Hochwasser 1910 im Ahrtal. Damals seien umfassende Planungskonzepte erstellt worden. Wenig später sei das Geld in den Bau des Nürburgringes verwendet worden.
Der frühere THW-Präsident plädiert dafür, besser und vernetzter zu planen, um das Ausmaß von Schäden wie sie bei der Flutkatastrophe im Ahrtal entstanden seien, zu reduzieren. Brömme sieht erheblichen Handlungsbedarf bei der Ausstattung des kommunalen Katastrophenschutzes und der Sensibilisierung der Bevölkerung sowie der Wirtschaft. Er plädiert für die Aufstellung eines “Landesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenvorsorge” in jedem Bundesland. Bundesländer wie Rheinland-Pfalz würden ein Amt mit 140 Stellen realisieren. Ausbildung, Ausarbeiten von Übungsplänen sowie Monitoring seien wichtige Aufgaben. „Bayern tut sich schwer, eine solche Behörde einzuführen“, weiß Brömme. Der ehemalige THW-Präsident appelliert aber auch an die Eigenverantwortung der Menschen, die eigene Resilienz (Widerstandsfähigkeit) zu erhöhen: Privathaushalte müssten selbst vorsorgen: Batterien, Wasser und Verpflegung. „Kein Staat kann dies leisten. Dennoch gibt es eine übertriebene Erwartungshaltung der Menschen.“
Aktive Auseinandersetzung Im Bevölkerungsschutz geht es laut Sandra Bubendorfer-Licht nicht um „Angstmacherei“, sondern um „bewusste und aktive Auseinandersetzung mit Handlungsweisen im Ernstfall“. Es reiche auch nicht mehr, nach dem 3K-Prinzip (in der Krise Köpfe kennen) zu agieren. Deutschland muss nach Ansicht der FDP-Bundestagsabgeordneten aus Ampfing darauf vorbereitet sein, Angriffe auf kritische Infrastrukturen abzuwehren. Deshalb sei es wichtig, dass gerade im Bundesinnenministerium die Arbeiten zu einem KRITIS-Dachgesetz laufen. Die Angriffe auf die Nord Stream Pipeline sowie auf die Deutsche Bahn hätten die Notwendigkeit gezeigt. Landrat Max Heimerl (CSU) sprach in seinem Grußwort die Aufgabe der Landkreise an, Flüchtlinge unterzubringen. Die Hilfe für Flüchtlinge, die in ihren Herkunftsländern um Leib und Leben fürchten müssten sei Pflicht, um die es nicht zu diskutieren gelte. Dennoch mahnte der Landrat Regeln an, um das „System nicht zu überlasten“. Die Not vor Ort ist seiner Ansicht nach noch nicht bei der Bundesregierung in Berlin angekommen, so der Landrat. Auch die 2. Bürgermeisterin der Stadt Mühldorf fühlte die Kommunen bei der Aufnahme der Flüchtlinge allein gelassen. Die Regierung habe aus dem Jahr 2015 offensichtlich nichts gelernt, meinte Waldkraiburgs Bürgermeister Robert Pötzsch (UWG). Der FDP-Bundestagsabgeordnete Thomas Hacker (Bayreuth) sagte, die Ampelregierung habe die Bevölkerung gut und sicher durch die Energiekrise geführt. Durch die Verlängerung der Laufzeit der klimaneutralen Kernkraftwerke sei das Energieangebot ausgeweitet worden. Mit der Gaspreisbremse seien ruinöse Gasrechnungen verhindert worden. Die Strompreisbremse sorge parallel dafür, dass der hohe Gaspreis nicht auch noch zu existenzbedrohen hohen Strompreisen führe. Mit drei Entlastungspaketen habe die Bundesregierung dafür gesorgt, die kalte Progression bei der Einkommensteuer abzubauen. „Der Staat darf an der hohen Inflation nicht auch noch verdienen. Die Bürgerinnen und Bürger sei mit Energiepreispauschalen, Einmalzahlungen wie den Kinderbonus und Heizkostenzuschüssen unterstützt worden. Für die Wirtschaft darf es nach Ansicht des FDP-Politikers keine neuen Bürokratielasten geben. Im Gegenteil müssten Unternehmen entlastet werden, so Hacker.